"Kultur macht glücklich"


Berlin – Shakespeares „Was ihr wollt“ – ausgesprochen unterhaltsame Inszenierung im Berliner Ensemble zwischen schräger Schrillheit und zauberhaft poetischen Momenten 

Veröffentlicht am:

von

Berlin – Shakespeares „Was ihr wollt“ – ausgesprochen unterhaltsame Inszenierung im Berliner Ensemble zwischen schräger Schrillheit und zauberhaft poetischen Momenten 

©Berliner Ensemble, Foto:

Folie bauscht sich zum Sturm. Eine Windmaschine rattert. Bleche donnern. Ein Schiff kentert. Viola überlebt und…

tritt als verkleideter Bote Cesario in die Dienste des Herzogs Orsino. Der liebt die trauernde Gräfin Olivia. Die verliebt sich in den Boten, der sich in den Herzog verliebt. Aus diesem simplen Dreiecksspiel unerfüllter Sehnsüchte entwickelte Shakespeare seine berühmte Komödie „Was ihr wollt“ über Sein und Schein.

Shakespeare-Experte Antú Romero Nunes präsentiert am Berliner Ensemble ein schillerndes, überaus unterhaltsames Spektakel, das ohne technischen und medialen Schnickschnack allein auf die Großartigkeit der Schauspieler:innen vertraut. Jede Szene überrascht durch vortrefflich typisiertes Spiel, leitmotivische pantomimische Effekte, atmosphärische Livemusik und raffinierte Lichtkontraste, wobei sich über Shakespeares Wortwitz das Spiel zwischen Liebe und Intrige, Poesie und Tölpelei herrlich erfrischend aufbaut. Eine Szene toppt die nächste, eskaliert in schrillem Klamauk und erdet sich doch wieder in spielerisch poetischer Leichtigkeit. 

Die irren Szenen sind eine Steilvorlage für Veit Schubert als Narr, der das überbordende Geschehen abrupt unterbricht, indem er es pointiert kommentiert, über das Klavier intoniert. „Kluger Blödsinn ist nie öde, aber öder Tiefsinn immer nur blöde.“ Und genau da setzt Nunes an. Im Ringen nach Orientierung lässt er die Figuren theatralisch bis ins Alberne eskalieren, um ihre Bruchstellen sichtbar zu machen und zu zeigen, wie es ihnen dabei geht, wenn sie gezwungen sind, anders zu sein, als sie sind. 

Wer ist wer hinter der Maske des äußeren Scheins? Die existenzielle Frage rückt immer wieder symbolisch durch die Trauerschleier der Gräfin und ihrer Gefolgschaft in den Mittelpunkt, der Verweis auf andere Kulturen ist naheliegend, und wird durch die genderkonträre Besetzung der Gräfin (Sebastian Zimmer), Sir Tobys, ihrem Onkel (Maeve Metelka) und Malvolio, ihrem Haushofmeister (Bettina Hoppe) noch komplexer und amüsanter, nicht zuletzt durch die skurrile Optik, intensiviert durch die originellen Kostüme. Ob Mann oder Frau, darauf kommt es gar nicht an, allein die Sehnsucht nach der Liebe zählt, die Oliver Kraushaars baritonale Stimme als Orsino balsamisch hörbar macht und von der Gräfin narzisstisch zugespitzt wird. „Ich wünschte, du wärst so, wie ich dich haben will.“ Doch gerade ihr Angebeteter, Amelie Willberg spielt den Boten mit subtiler Noblesse, löst das Verwechslungsspiel durch den Mut zur eigenen Identität.

Sir Toby und sein Freund Sir Andrew (Maximilian Diehle) agieren, daueralkoholisiert infolge vergeblichen Werbens, wie Don Quijote und Sancho Pansa. Mit Augenaufschlag, zwei Haarsträhnen um die Finger rollend und ihrem entgeisterten „Oh mein Gott“ macht sich Pauline Knof, als überaus kesse Zofe der Gräfin die beiden Sirs gefügig, um dem arroganten Haushofmeister Malvolio, eine Lektion zu erteilen.

Immer derber wird das burleske Spiel um die wahre Identität, bis zum überdrehten Hau-Ruck-Duell im Stil der Commedia dell´Arte oder Malvolios klamaukige Blamage als gräflicher Liebhaber. Und dann wieder ein Bruch ins surreale Existenzielle. Malvolio pantomimisch eingesperrt in eine Pendeluhr, wird zur beeindruckenden Antwort „Was ihr wollt!“ – ein narzisstischer Käfig.

Doch Nunes kehrt zurück zu Shakespeare. Durch die Ankunft von Violas Zwillingsbruder (Max Gindorff) akzeleriert und eskaliert das Verwechslungsspiel und endet nach einem applausträchtigen Song eben nicht in der üblichen Happyend-Paarung. Frei schwebend, jede für sich, kreisen die Figuren über der Bühne glücklich in der Rolle, die sie sich zurechtgezimmert hat. Chapeau! 

Diese raffinierte aktualisierte Inszenierung wird sicher ein Dauerbrenner für das Berliner Ensemble.

Künstlerisches Team: Antú Romero Nunes (Regie), Matthias Koch (Bühne), Magdalena Schön, Helen Stein (Kostüme), Pablo Chemor (Musik), Hans Fründt (Licht), Amely, Joana Haag (Dramaturgie)
Mit: Maximilian Diehle, Pauline Knof, Veit Schubert, Sebastian Zimmler, Max Gindorff, Oliver Kraushaar, Marc Oliver Schulze, Bettina Hoppe, Maeve Metelka, Amelie Willberg.