©Kleines Theater Kammerspiele Landshut Foto: Alvise Predieri
Am Schluss nimmt Célina einen Lockenwickler aus ihren wallenden Haaren. Sie hat ihre Identität gefunden. Als Kind war sie…
Jakob. Den schmerzlichen Prozess, die eigene Identität zu finden, umkreist Yasmina Reza in ihrem neuen Stück „James Brown trägt Lockenwickler“, das auf einer Erzählung in ihrem Prosaband „Glücklich die Glücklichen“ (2014) basiert. Nach der Uraufführung im Jahr 2023 im Münchner Residenztheater wurde das Stück sofort ein Bühnenhit, ähnlich wie ihre anderen Stücke „Kunst“ (1994, Paris) und „Gott des Gemetzels“ (2006, Zürich).Das Stück zielt multiperspektivisch auf die gegenwärtige Diskussion über Diversität, hebelt konservatives Festhalten an traditionellen Strukturen durch neue Lebensfreiheiten aus. Mit Witz und Ironie, sprachrhythmisch intensiviert, präsentiert Reza eine fragmentierte Szenencollage mit offenem Schluss, die Regisseuren und Schauspielern viel Raum für Kreativität bietet, die unterhaltsam, dramatisch, grotesk, absurd sein kann, aber auf keinen Fall realistisch sein soll.
Es ist eine herrliche Textvorlage für Sven Grunerts Talent, auch in den absurdesten Situationen die Poesie aufleuchten zu lassen. Durch großflächige Projektionen, verspiegelte Flächen, variantenreiche Musikcollagen,Phasen gemeinsamen Tanzens, jeder in seinem ganz persönlichen Stil, gewinnt das Stück trotz aller schrillen Groteske einen mitmenschlichen Tiefgang. Auf einer subtilen Gratwanderung zwischen Verzweiflung, Ausrasten und irren Selbstbespiegelungen kristallisiert Grunert den gesellschaftlichen Wandel in Anlehnung an die Natur vom Werden und Vergehen heraus, mit der Botschaft, sein Leben so zu gestalten, wie man es in sich spürt. Diversität durchbricht bisherige gesellschaftliche Normen, schafft aber letztlich neue Freiheiten, aus denen sich neue Begrifflichkeiten und eine stärkere mitmenschliche Toleranz ergeben.
Der Plot ist unspektakulär , überall vorstellbar. Jakob, der mit fünf Jahren ein Lied der kanadischen Sängerin Céline Dion hört, wird nicht nur ihr Fan, sondern imitiert immer stärker ihre Optik und hält sich schließlich selbst für Céline
Dion. Die Eltern sind verzweifelt, lassen Jakob-Céline in eine psychiatrische Klinik einweisen, wo er sich mit Philippe befreundet, der sich als Weißer für einen Schwarzen hält und seinen geliebten Feigenbaum im Klinikpark umpflanzt, um ihm wieder Freiheit zu geben.
Sven Grunert macht daraus mit viel Fingerspitzengefühl und einem ausgesprochen spielfreudigen Ensemble eine erheiternde Groteske, bei der das Lachen angesichts der menschlichen Tragik und der emotionalen Verzweiflung im Halse stecken bleibt. Dazu passen harte Brüche, unerwartete Stopps, Akrobatik im hängenden Reifen, Verschwinden und Erscheinen in einem kleinen Ausschnitt auf dem gigantisch großen, verspiegelten Tisch. „Unser Sohn ist gaga.“ Mutter und Vater wollen ihn wiederhaben, ohne jegliches Verständnis für dessen Wunsch nach einer anderen Identität, in der er sich wohler fühlt. Katja Amberger zeigt eine überpositivistische Mutter, die am Bild der heilen Familienidylle klebt und nicht versteht, dass sie schon längst zerbrochen ist. Stefan Lehnen als reflektierender Vater sucht nach seinen Fehlern und gerät in eine Spirale der Selbsterniedrigung, weil er immer zu feige und zu geizig
war, seine Wünsche bezüglich seines gesellschaftlichen Status zu realisieren. Er verwandelt sich in ein nervöses Nervenbündel, das immer schneller explodiert bis nahe zum Herzinfarkt.
Hilflos sind beide der Psychotherapeutin ausgeliefert, die gnadenlos die Defizite der sie umgebendenMenschen analysiert und doch nur ihr eigenes Wohl im Auge hat. Louisa Stroux wandelt diese Figur von der freundlichen Willkommenstante in eine esoterisch entschleunigte Über-Ich-Lady, die ihr Umfeld souverän im Griff hat und originelle Denkanstöße gibt, wenn sie etwa das Märchen vom Aschenputtel gegen den Strich erzählt.
Großartig agieren die beiden Patienten, Andrés Mendez als temperamentvoller Philipp und Ines Hollinger als verträumte Céline. Sie spielen ganz verinnerlicht, voller Poesie und bleiben ihren neuen Identitäten treu, Céline mit einer auffälligen Zahnspange, in männlichen Boxershorts mit Tüllröckchen darüber, Philippe mit Frack, nicht
mit grünem Finger, aber grünem Lidschatten als Ausdruck seiner Naturverbundenheit. Sein Baum, effektvoll beleuchtet, rückt immer mehr in den Mittelpunkt, wird zum Lebensbaum in einer geschönt gespiegelten Welt, in
der der Blick aus einer kleinen Therapiezelle in den groß projizierten Klinikpark das einzige Naturerlebnis ist. Satire pur . Wenn die Eltern im Nebel verschwinden, Céline und Philippe in ein neues Leben aufbrechen, wird der fließende, durchaus harmonische Generationenwechsel deutlich.
Es ist ein kluges Stück, gekonnt inszeniert, das statt Konfrontation die Wurzeln der Menschlichkeit und
des Miteinanders in den Mittelpunkt rückt.













