©Jörg Brüggemann
„K.“ wie Kafka, aber auch wie Kosky. Musiktheater-Regisseur Barrie Kosky, ein Leben lang von Kafka inspiriert und über seine Großmutter von der jiddischen Kultur begeistert, präsentiert…
„eine „talmudische Tingeltangelshow rund um Kafkas Prozess“, in der er seine Leidenschaft für das unterhaltsame Vaudeville-Theater, die jiddische Sprache auf Kafka projiziert. Er offenbart Kafkas Ambivalenz zwischen Vereinsamung und Wunsch nach Geselligkeit, sein gestörtes Verhältnis zum Vater. Kafkas zwanghafte Suche nach der Wahrheit und seine Angst vor den Repressalien anonymer Bürokratiestrukturen spitzt Kosky durch zitierte Texte aus „Ein Hungerkünstler“, „Das Urteil“,„Vor dem Gesetz“, „In der Strafkolonie“ und Texte aus seinen Tagebüchern und Aphorismen dramaturgisch raffiniert zu, wobei er die Ernsthaftigkeit der Texte ständig durch flotte Varieté-Nummern satirisch bis zum skurrilen Knock-out aufmischt.
Das Ergebnis ist eine filigran verwobene, explosive Nummernrevue, bühnentechnisch, schauspielerisch und musikalisch exzellent in typischer Kosky-Manier in Szene gesetzt, nur möglich, weil das Berliner Ensemble „fabelhaft singen und tanzen kann“, so Kosky.
Kathrin Wehlisch gibt K. eine facettenreiche Aura. Allein, verlassen, weit weg, nur in Unterwäsche nähert sich K. im Spot der Bühnenrampe, bedrängt von zwei Gefängniswärtern. Zappelig, slapstickartig agiert Wehlisch wie ein Stehaufmännchen. Dieser K. kommt nicht zur Ruhe. Er rebelliert gegen die verleumderischen Schuldzuweisungen, verliert dabei immer mehr den Boden unter den Füßen. Nur am Busen der Frauen, allesamt einen Kopf größer, findet er Entspannung und wenn Dora Diamant, alias Alma Sadé, Lieder aus Robert Schumanns „Dichterliebe“ auf Jiddisch singt, ist K. sogar für wenige Momente glücklich.
Gerade in der volkstümlichen jiddischen Kultur, die wegen ihres Ursprungs in den armen Schtetls Osteuropas verpönt war, fand Kafka das, was er suchte, Emotionalität, Freiheit, Komik, so Kosky, was er durch seine Inszenierung in den Vordergrund stellt, indem er den „Prozess“ ständig durch flotte Varieté-Einlagen auflockert und K. über seine skurrilen Figuren und aufblitzende biografische Details definiert. Zwischen existenziellem Schauspiel und erotisch-ironischen Travestie-Soli, flotten Tanz- und Steppeinlagen zu mitreißender Live-Musik prallen extrem unterschiedliche Emotionen aufeinander. Dabei wird das Geschehen zwischen Gefängnis, Synagoge und Varieté immer symbolischer und skurriler.
Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“, von Wehlisch auf Hebräisch in einem Käfig vorgelesen, zeigt die Reglementierung des Lebens durch die Tora überdeutlich. Das Geschehen eskaliert, als eine Maschine K. „In der Strafkolonie“ die Schuld auf die Haut tätowiert und man ihn schließlich mit dem Messer enthauptet. Es gibt weder ein Zeichen der Erkenntnis noch der Erlösung, ist die bittere Botschaft. Der Jubel bei der Premiere ist groß, aber nicht von allen. Zu viel Kosky überdeckt Kafka.
Künstlerisches Team: Barrie Kosky (Regie, Textfassung), Sibylle Baschung (Textfassung), Adam Benzi (Musikalische Leitung), Katrin Lea Tag (Bühne, Kostüme), Mariana Souza (Choreografie), Ulrich Eh (Licht) Eric Dunlap (Video), Sibylle Baschung (Dramaturgie)
Gespielt von Kathrin Wehlisch, Joyce Sanhá, Gabriel Schneider, Paul Herwig, Constanze Becker, Alexander Simon, Martin Rentzsch, Alma Sadé und den Musikern: Adam Benzwi, Johannes David Wolff, Daniela Braun, Stefan Genze, Gabriel Rosenbach, James Scannell, Ralf Templin, Ortwin Zipp.