"Kultur macht glücklich"


München – John Crankos „Romeo und Julia“ an der Münchner Staatsoper begeistert immer noch

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München – John Crankos „Romeo und Julia“ an der Münchner Staatsoper begeistert immer noch

©Staatsoper München, Wilfried Hösl

Warum verliert John Crankos Romeo-und-Julia-Choreografie nichts von ihrem Charme? 1958 choreografierte er sie für die Mailänder Scala, 1962 präsentierte er sie in Stuttgart, 1968 bühnentechnisch erweitert in München. Wie kein anderes Ballett über fünf Jahrzehnte hinweg im Programm erwartet…

die Besucher bei den 150. Festspielen der Staatsoper ein Juwel der Ballettkunst, das in keinem Moment antiquiert wirkt, sondern ganz im Gegenteil durch tänzerischen Witz, spielerische Leichtigkeit, stilistische Vielfalt, dramaturgische Spannung und atmosphärische Dichte begeistert. 

In „Romeo und Julia“ gibt es drei choreografische Handschriften zu entdecken. Die Basis mit gravitätischem Schreiten, exorbitanten Hebungen, weiten Linien und emotionaler Intensität der Pas de deux schuf Leonid Lawrowski, der mit Prokofjews Ballettkomposition 1940 im Kirowballett damit den neuen „sowjetischen Stil“ zur Uraufführung brachte. 

Cranko belebte dessen Pathetik durch spielerische, sehr spontan wirkende Lebendigkeit. Er lässt die TänzerInnen ihre individuellen Ideen einbringen, befeuert die Marktszenen mit akrobatischen und burlesken Akzenten, charmanten Koketterien und mitreißenden Fechtszenen, deren spielerische Lässigkeit sich plötzlich in Provokationen auf Leben und Tod wandeln. Durch Kostüme mit Bänderstrukturen wird raffiniert die tänzerische Dynamik beschleunigt. Jürgen Roses Bühnenkulissen, eine gekonnte nahtlos ineinander übergehende Mischung von 13 auratischen Örtlichkeiten, faszinieren immer noch. 

Nur drei Wochen später als Cranko präsentierte der britische Choreograf Kenneth MacMillan im American Ballet Theatre seine Version, die nach Meinung der Kritiker mit Crankos „Romeo und Julia“ nicht mithalten konnte und teilweise als Plagiat eintaxiert wurde. Crankos Choreografie dagegen wurde zum Kult. Die Hauptrollen avancierten zum Höhepunkt einer tänzerischen Karriere. 29 verschiedene Ballerinen und 35 Solotänzer brillierten in München als Romeo und Julia. 

Bei der gegenwärtigen Wiederaufnahme bringt Laurretta Summerscales eine wunderbar zarte Julia auf die Bühne, ein verspieltes Mädchen, das zur Frau erwacht, den Eltern trotzt und blindlings ihren Gefühlen folgt. Mit Jakob Feyferlik wird Romeo zum kraftvollen Beschützer und hingabefähigen Liebenden. Ihre Pas de deux sind Ausdruck leidenschaftlicher, mitunter orgiastischer Gefühle, ein Zueinanderlaufen, Heben, Schweben, Wirbeln und Abtauchen, immer wieder, immer intensiver. Yonah Acosta verwandelt Mercutio in einen fröhlichen Lebemenschen und Liebling der Frauen, der immer tanzt, kokettiert und für Heiterkeit sorgt. Florian Ulrich Sollfrank gibt Tybalt ganz in Schwarz die düster gefährliche Aura des unberechenbaren Gegenpols. 

Das Faszinierendste ist, dass Cranko nicht Tänze präsentiert, die durch eine Geschichte zusammengehalten werden, sondern er entdeckt in Shakespeares Liebesgeschichte durch den Tanz deren soziale und emotionale Ungleichgewichte, aber eben nicht pathetisch, sondern mit burleskem Witz und latenter Ironie. Blutleer und schematisch wird der Ball der Capulets im kostbaren Ambiente als Ausdruck eines sinnentleerten Rituals und gleichzeitig ein kleiner Seitenhieb auf die Erstarrung des traditionellen Tanzes, der doch so innig und flott sein kann, wie er es in der mitreißenden, opulenten Straßenkarneval-Szene und in den Pas de deux beweist. Unter dem kraftvollen, aber auch immer wieder sehr subtilen Dirigat von David Garforth wird die Kongruenz von Tanz und Musik zum mitreißenden Erlebnis. 

Künstlerisches Team: John Cranko (Choreografie, Inszenierung), David Garforth (Musikalische Leitung), Jürgen Rose (Bühne, Kostüme), Georgette Tsinguirides (Einstudierung), Thomas Mayr, Valentina Divinia, Séverine Ferrolier, Norbert Graf, Judith Turos (BallettmeisterInnen)

Mit: Norbert Graf, Séverine Ferrolier, Laurretta Summerscales, Florian Ulrich Sollfrank, Severin Brunhuber, Caroline Geiger, Stefan Moser, Chelsea Thronson, Jakob Feyferlik, Yonah Acosta, Ariel Merkuri