„Step Across the Border“. Grenzen überschreiten, das wollte der britische Avantgardemusiker Fred Frith zusammen mit seinem künstlerischen Umfeld. Sie produzierten Geräusche und aus den Geräuschen…
entstand Musik. 1987 bis 1990 drehten Werner Penzel und Nicolas Humbert nach ihrem Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München ihren ersten gemeinsamen Dokumentarfilm über Fred Frith, begeistert von den Fans rezipiert, aber ohne größere Wellen zu schlagen. Jetzt ist die digitalisierte Wiedergabe in den deutschen Kinos zu sehen. Nicht nur für experimentelle Musikfans ein Ereignis. Wie eine Improvisation konzipiert offeriert der Schwarz-Weiß-Film, wie aus Geräuschen Musik entsteht.
Alltagsgeräusche, Schaben, Kratzen, das Flattern einer Fahne, das Rauschen einer vom Wind verwehten Plastikfolie, alles wird zur Musik. In harten Schnitten fängt die Kamera dokumentarische Probensequenzen ein. Unterlegt mit wild bewegten Naturbildern, Autofahrten und urbaner Hektik spiegelt die avantgardistische Musik unseren unruhigen, nervenaufreibenden Lebensstil, in dem mitunter lyrische Momente aufleuchten.
Der reine Tourneebetrieb mit den vielen Fahrten und Soundchecks wäre für die Musiker viel zu steril. Sie wollen experimentieren und in Interaktion mit dem Publikum improvisieren. „Das Publikum ist das Echo“, so Frith. 1949 in England geboren, avancierte er zum Avantgardisten der modernen Popszene. Es geht nicht um die Originalität des Künstlers, sondern um die Wirkung der Musik. „Eine Fotografie ist wie ein Schrei. Eine Befreiung.“ Diesen Spruch des berühmten französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson, der genau ins Schwarze trifft, verewigte Frith auf seiner Tasche.
Beeinflusst wurde Frith in jungen Jahren von den Beatles, aber der musikalische Wendepunkt kam mit der Entdeckung des Blues, eine Musik, die nicht durch Notenlesen entstand, sondern ganz frei. Als Frith begriff, wie stark das Spiel auf der Gitarre von der Stimme, vom Singen abhängig ist, entwickelte er ganz neues Musikverständnis. Im Film bringen Tom Cora, Iva Bittová, Eitetsu Hayashi oder John Zorn ihr Improvisationskönnen spontan ein. Jeder ist ein Meister seines Fachs. Dabei gelingen ungewöhnliche Klangsequenzen. Durch den Schnitt nahtlos ineinander übergehend baut sich eine famose Spannung auf, vor allem dann wenn Instrument und Gesang interagieren, die Perkussion extrem akzentuiert, sich in Wiederholungsschleifen ein immer drängenderer Drive entwickelt.
Die Simultaneität von Klangerzeugung und Klangwirkung ist das Faszinierende an diesem Film. Je nach Material erzeugt das Streichen über Metalldrähte, ein über den Schotter gezogener Rechen oder Maschinengeräusche raffinierte Kontraste zwischen meditativen und stressintensiven Klangmustern, die sich rhythmisch wiederholen, sich immer schneller gespielt intensivieren, gemischt mit folkloristischen Momenten sich beispielsweise in die euphorisierende Tanzrhythmik eines Bossa Nova verwandeln.
Der Drive der Musik fängt die Hektik unserer Gegenwart ein. An den Fenstern eines Schnellzug zischen die Landschaften vorbei, Autos rasen Straßen entlang, Passanten hasten über die Kreuzung und schlafen in der U-Bahn erschöpft ein. Final trommelt ein Junge, höchst artifiziell in bitterer Verzweiflung gegen die Ignoranz der Passanten.
Frith bildet sich nicht mehr wie in jungen Jahren ein, mit Musik etwas verändern zu können. Aber wenn nach einem Konzert jemand ergriffen von seiner Musik kommt, um mit ihm über die Musik zu reden, ist das für ihn immer noch „ein phantastischer Moment“. 35 Jahre alt ist der Film immer noch topaktuell.
Künstlerisches Team: Werner Penzel , Nicolas Humbert (Drehbuch, Regie), Oscar Salgado (Kamera), Fred Frith (Musik), Vera Burnus, Gisela Castronari-Jaensch, Silvia Koller (Schnitt)
Mit: Fred Frith, Iva Bittová, Joex Baron, John Zorn, Arto Lindsay, Ciro Battista, Bob Ostertag, Joey Baron, Jonas Mekas und Robert Frank.