©Dok.fest München
Jeder Abiturient kennt Erich Frieds Gedichte. Ihre sprachliche Prägnanz, ihre humanistischen und pazifistischen Botschaften machten ihn zu einem der bedeutsamsten deutschen Lyriker nach 1945. Seine Liebesgedichte waren Kult, seine politische Gedichte durchaus umstritten. Wie fühlt man sich als Sohn eines derart prominenten Dichters? Sein Sohn Klaus Fried, Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmeditor, geht…
auf Spurensuche. „Friendly Fire“, sein erster Langfilm eröffnet das 40. Dok.fest München am 7. Mai. Der Film beginnt am Grab des Vaters (1921-1988) in London. Der Steinblock hat einen Spalt, und dieser Spalt wird zum Leitmotiv des dokumentarischen Porträts. Es ist weder Hommage entlang der väterlichen Erfolge noch eine chronologische Biografie, sondern ein Puzzle aus verschiedenen Interviews mit Familienmitgliedern und Freunden, unterlegt mit einer Collage von dokumentarischen Filmausschnitten, in denen sich die knallharten Kontroversen der deutsche Geschichte von Hitlers Machtergreifung bis zu den 1. Mai Demonstrationen der Gegenwart spiegeln.
Zehn Jahre arbeitete Klaus Fried (*1969) an diesem Film. Das Ergebnis ist eine sehr ehrlich wirkende Suche des Sohnes nach dem Vater, der ihn von allen sechs Kindern aus drei Ehen anscheinend am wenigsten wahrgenommen hatte, wie er seinem Zwillingsbruder Tom gesteht. Schon durch den Titel „Friendly Fire“, (unfreiwilliger Eigenbeschuss“) signalisiert Klaus Fried die eigene Distanz zum Vater, dessen politische Einstellung, je mehr er recherchiert, ihn immer mehr zu verwirren scheint. Wie Klaus Fried bekommt auch der Kinobesucher durch die angelaufene Windschutzscheibe mehr Durchblick.
Als Erich Frieds Vater von den Nazis ermordet wurde, floh er mit 17 Jahren aus Wien nach London, von wo aus er vielen Juden, auch seiner Mutter zur Flucht verhalf. Aber er lernte kein Englisch. Ein deutscher Schriftsteller wollte er sein.
Klaus Fried blendet zurück in das historisch schöne Wien der Monarchie, wechselt dann immer wieder zwischen österreichischem Faschismus und Interview-Recherchen während der Coronazeit. Die Großeltern Hugo und Nelly Fried werden als sehr selbstbewusst, narzisstisch dargestellt, Sohn Erich als respektlos ehrliches Kind, auch dem Vater gegenüber, wofür er von ihm geschlagen wurde, ihm aber unerschrocken ankündigte, ihm später die „Watschn“ zurückzugeben. Ungerechtigkeiten waren für Erich Fried schwer zu ertragen. Doch er selbst wurde im engsten Familienkreis sehr kritisch gesehen.
Schritt für Schritt entdeckt Klaus Fried, emotional sehr berührt, die Widersprüche in der Persönlichkeit seines Vaters, der regelrecht erstarrte, weil sein Denken ständig um die „Erinnerungen an seine wahre Welt“ kreiste, die er in den Realitäten des Alltags nicht fand. Für ihn war die BRD genauso ein Vasall der USA, wie die DDR für Russland, wo das Fußvolk zum Kanonenfutter degradierte.
Wie sein Zeitgenosse Heiner Müller schrieb Erich Fried gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Beide waren, wie Theaterkritiker Thomas Irmer es formuliert, „unabhängige Geister“. Doch im Gegensatz zu Müller, der die Konfrontation suchte, glaubte Eric Fried an die Kraft der Liebe, suchte mit Sprachmagie nach idealistischen Lösungen. „Meine Texte sind klüger als ich“, schrieb er einmal, doch für die Lebenswirklichkeit blieben sie folgenlos.
Immer wieder wird Klaus Fried damit konfrontiert, dass sein Vater ein überzeugter Nationalsozialist war und kontrastiert dies mit drastischen dokumentarischen Filmsequenzen wie beispielsweise der Auflösung des Konzentrationslagers Dachau, mit den nationalsozialistischen Reden eines Michael Kühnen und einem Resümee von Ingeborg Quaas, Lektorin in der ehemaligen DDR. Erich Fried war in jungen Jahren Kommunist, dann geschockt vom Stalinismus, verehrte Gorbatschow sehr und sympathisierte mit der 1968er Bewegung.
Klaus Fried wirkt immer verwirrter, taucht ab in ein grimassierendes Zähneputzen. Schweigend reflektiert er das Wissen über seinen Vater auf dem Jüdischen Mahnmal am Brandenburger Tor sitzend, auf das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park blickend, vom Teufelsberg auf Berlins Silhouette und final auf menschenlose bewaldete Mittelgebirge. Vergänglich ist alles, was bleibt ist die Natur.
„Friendly Fire“ ist für den Dok.edit Award nominiert, mit 10000 € gesponsert vom Bayerischen Rundfunk
Künstlerisches Team: Klaus Fried, Andrew Hoot (†), (Drehbuch), Ralf Ilgenfritz, Matthias Kreitschmann (Kamera, Sound), Adrian Lo (Sound-Design) Julia Albrecht (Schnitt )