„Blutbuch“ am Theater Magdeburg©Carmen Stein
Es ist der packende Sprachduktus kombiniert mit expressiven Live-Videos und magischer Mystik, der Jan Friedrichs Dramatisierung von Kim de l’Horizons´ größtenteils autobiografischen Roman „Blutbuch“ theatralisch so…
attraktiv macht. Dominik Holzer, so der bürgerliche Name hinter dem Anagramm von Kim de l’Horizon, beschreibt die Pein als non-binärer Mensch seinen eigenen Körper zu finden. Sein Schweizer Heimatdorf verlässt er, um sich selbst zu finden. Als seine Großmutter an Demenz erkrankt, werden Erinnerungen lebendig, alte Tabus erforscht. Wo ist die Schwester der Mutter geblieben, die der Großvater missbraucht und dann schwanger in einem Gefängnis entsorgt hat?
In fünf sprachlich ganz unterschiedlichen Kapiteln rekonstruiert Kim de l’Horizon seine Vergangenheit, wobei sich in seinem Ich die Ausgegrenztheit aller non-binären Menschen spiegelt. „Körper wie ich repräsentieren die vollkommene Freiheit“, so der Autor, aber im Alltag ist sie nicht in Sicht, stattdessen erleben non-binäre Menschen Beschimpfungen und Herabwürdigungen.
In einem 10-jährigen Schreibprozess versucht Kim de l’Horizon das Schweigen zu zerbrechen, dabei geht viel zu Bruch, und gleichzeitig entwickelt sich ein neues Menschenbewusstsein.
Selbst wenn man sich für diese Thematik weniger interessiert, ihre gesellschaftspolitische Relevanz angesichts der gesamtpolitischen Situation in Frage stellt, beeindruckt die Inszenierung durch die Vielfalt der Sprachebenen und die bühnentechnischen Stilmittel. Es wird weniger gespielt als deklamiert. Der Text steht im Mittelpunkt. Jedes der fünf Kapitel überrascht durch eine neue Sprachebene. In kurzen Sätzen, vielen Wiederholungen die Zeit der Kindheit, drastisch sexualisiert in allen Variationen schwuler Begrifflichkeiten in späteren Jahren, zwischendurch das Schwyzerdütsch der Mutter und Wortneuschöpfungen. Über die Nahaufnahmen der Live-Videos wird Geschehen plastisch, durch originäre Bildwelten verwandeln sich Erinnerungen in abstoßende oder magisch schöne Bildwelten, wenn die Großmutter in das alte Brot beißt oder sich das Kind an der personifizierten Blutbuche an deren Wurzeln mit traditionellen Lebenssichten infiziert. Ein bemerkenswertes Theatererlebnis ist „Blutbuch“ allemal.
Künstlerisches Team: Jan Friedrich (Regie, Kostüme), Alexandre Corazzola (Bühne), Friedrich Byusa Blam (Musik), Nico Parisius (Video), Katrin Ender (Dramaturgie)
Mit: Iris Albrecht, Anton Andreew, Julia Buchmann, Marcel Jaqueline Gisdol, Oktay Önder, Michael Ruchter, Carmen Steinert.
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