Regisseur Simon Stones hat aus weniger bekannten Erzählungen und Kammerstücken Strindbergs wie „Die Gespenstersonate“, „Der Vater“ oder „Der Pelikan“ eine Textcollage in Form einer Komplettüberschreibung formuliert, in der Strindbergs biografische Erfahrungen von drei unglücklichen Ehen, psychischen Krisen, Halluzinationen bis hin zum Identitätsverlust des modernen Menschen aufleuchten.
In verbalem Schlagabtausch entwickelt sich das zentrale Beziehungsdefizitmotiv eines Ehepaares, das sich um die Ausbildungsfinanzierung der Tochter streitet, wobei sich beiderseitige Nebensprünge offerieren, die sich als Leit- und Antriebsmotiv in allen weiteren Paarbeziehungen durchdeklinieren.
Im wohnlich beleuchteten, komfortabel möblierten 9-Zimmerensemble inklusive einer Suite, flankiert von einem kahlen Treppenhaus im Neonlicht eskalieren Liebe, Eifersucht, Lug und Betrug in Suff, hysterischen Anfällen, Krokodilstränen bis zur Verführung und Vergewaltigung. Längst ist die Zeit vorbei, in der die Frau, den Mann, mit dem sie ins Bett steigt, vergöttert. Sie gibt massiv Contra, dominiert das starke Geschlecht und ist doch immer dessen Opfer.
Nach einer Nacht der Exzesse geht der zwischenmenschliche Boxkampf im Frühstücksraum und in der Lobby in die letzte Runde. Die Lobby wandelt sich in eine gläserne Psychoklappsmühle, in der sich, eingesperrt einsam, verzweifelt, durchgedreht der verkannte Ehemann bis zur letzten Minute etwas vormacht „Ich habe mir das alles nur ausgedacht. Das sind alles meine Geschichten“, Eine originelle Schlusspointe.
©Reinhard Werner/Burgtheater
Zweifelsohne ist die Produktion, eine Gemeinschaftsarbeit des Wiener Burgtheaters und des Theaters Basel klug ganz im Geiste Strindbergs konzipiert und aktualisiert, exzellent gespielt, subtil dezent durch Live-Musik gespiegelt und immer wieder parodistisch verfremdet. Doch die multispektrale Vervielfachung von Strindbergs pessimistischen Paarbeziehungen bringt keinerlei neue Erkenntnisse, treibt die schmerzhaften Prozesse des Nicht-miteinander-Könnens in eine Wiederholungsspirale existentieller Langeweile, verstärkt durch die distanziert voyeuristische Außenperspektive.
Simon Stones Kernsätze der Einsicht bleiben erratisch verstreut, wären bei mehr Lakonie wesentlich wirkungsvoller. Statt sich Menschen zu verbinden verblinden sie durch ihr ständiges Lügen. Sie machen immer das gleiche, aber erwarten ein anderes Ergebnis und entwickeln Ideen nur zum eigenen Amüsement. Aug´ um Aug`, Zahn und um Zahn, „du hast mir mein Leben gestohlen, jetzt stehle ich deines“ wird jede langfristige Beziehung aus Strindbergs pessimistischer Sicht unterminiert.
Die Gegenvision, das Paar, in dem der Mann nicht aufhört sich um seine todkranke Frau zu kümmern, bleibt marginalisiert, obwohl es genau die Kraft der Liebe signalisiert, die den anderen Egozentrikern fehlt. Sie reden und leben nur, um die große Leere auszufüllen. Genauso leer fühlt sich die Inszenierung nach vier Stunden Spielzeit an.