"Kultur macht glücklich"


Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ im Deutschen Theater 

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Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ im Deutschen Theater 

©Deutsches Theater Berlin. Foto: Thomas Aurin

Die Vorstellung beginnt verspätet. Der eiserne Vorhang will sich nicht öffnen. Eine Inspizientin entschuldigt den Vorfall. Doch all das ist bereits Teil von Sebastian Nüblings Inszenierung. Er überrascht mit einem hautnahen Spiel…

vom Parkett aus bis hoch zu den Rängen. O’Neills Stück „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist tragisch, der Vater ein Schauspieler in jeder Beziehung, die beiden Söhne Alkoholiker, die Mutter, wie sich später herausstellt, morphiumsüchtig. Knallrot gekleidet signalisieren sie ein starkes Ego zwischen Leidenschaftlichkeit und Leidensfähigkeit. 

Eugene O’Neill (1888-1953) wurde für diese autobiografische Familienkonstellation, mit er er seine eigene Vergangenheit aufarbeitete, mit den Pulitzer-Preis ausgezeichnet. „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ gilt als eines der wichtigsten Theaterstücke der amerikanischen Literatur. Doch der Plot ist überall zu jeder Zeit denkbar. 

Nübling beginnt nicht mit einer sommerliche Szenerie im Ferienhaus. Er porträtiert die Figuren in ihren Rollen aus der familiären Perspektiven im beruflichen Umfeld des Vaters. Theater auf der Bühne als Spiegel für das Theater zu Hause. 

Der Vater (Bernd Moss) brilliert als Conférencier. Aus ärmsten Verhältnissen stammend, setzt er sich als charmanter Überflieger applausheischend in Szene und sichert sich durch geschickte Publikumsabstimmungen Sympathie für sein vermeintliches Im-Recht-Sein, wobei er unfreiwillig zur Lachnummer wird. Seine Frau (Almut Zilcher) ist gerade aus der Rehabilitation zurückgekommen und gilt als geheilt. Doch dieses Glück trüben die Söhne ein. Edmund (Svenja Liesau) ist krank, elegisch, umso zorniger rebelliert James Junior, sein älterer Bruder (Moritz Kienemann). Wütend bombardiert schreiend durch die Gänge des Theaters rennend aus unterschiedlichsten Perspektiven seinen Vaters mit Vorwürfen. Je mehr die Eltern die Situation verklären, desto stärker konfrontieren die Söhne sie mit der Wirklichkeit der schmerzlichen Suchtfolgen, die durch die Besetzung  Edmunds mit Svenja Liesau genderparitätisch geweitet werden. 

Die wahren Motive werden im zweiten Teil offenkundig, als der eiserne Vorhang  entschwebt, sich Nebel bis ins Parkett ausbreitet, sich lichtet und die Wahrheiten hinter dem Rollenverhalten im Kontrast zur Wohlfühlmusik von Johann Sebastian Bachs „Air“ enthüllen. Über drei Generationen hinweg enthüllt sich das Elend der Sucht. Um die eigene Achse tanzend mit der erhobene Hand weit nach hinten gedehnt ein Whiskeyflasche nach der anderen ex in sich hineinschüttend, offeriert Edmund den Grund seines Leidens, später als choreografiertes Trio mit Bruder und Vater seine vollkommene Fremdmanipulation und Ausweglosigkeit. 

In heftigen Auseinandersetzungen jetzt in alltäglicher Kleidung vor einem surreal leuchtenden Ferienhaus im Hintergrund wird die Wahrheit offenkundig. Opfer sind sie alle, aber in dieser Inszenierung liegt infolge der Besetzung  die Täterschaft eindeutig bei den Männern.

©Deutsches Theater Berlin. Foto: Thomas Aurin

Theaterkritik von O'Neills "Nach eines langen Tages Reise in die Nacht" am Deutschen Theater Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Aus Geiz überließ James Senior seine schwangere Frau einem Arzt, der sie auf Morphium setzte. Schon den Babies gab der Vater einen Löffel Whiskey, um sie zu beruhigen. Aus Eifersucht brachte James Junior seinen jüngeren Bruder absichtlich auf die schiefe Bahn. Mit Stacheldraht vom Dienstmädchen (Julia Gräner) umzäunt degradiert das Sommerhaus zum surrealen Schattengefängnis. Aus der Distanz kommentiert es immer wieder das Geschehen und weitet O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in einen Epilog um die gegenwärtige Diskussion über das Weggehen an einen anderen Ort, der besser wäre. „Du bleibst“ ist die doppelbödige Botschaft, die durch die markante Inszenierung und das facettenreiche Spiel, das jede Figur in ihrem Elend so fühlbar macht, ein nachdenkliches Publikum hinterlässt.

Künstlerisches Team: Sebastian Nübling (Regie), Dominic Huber (Bühne), Una Jankov (Kostüme), Lars Wittershaben (Musik), Matthias Vogel (Licht), Christopher-Fares (Dramaturgie) 

Mit: Bernd Moss (James Tyron), Almut Zilcher (Mary Cavan Tyron), Moritz Kienemann (James Tyron Junior), Julia Gräner (Cathleen), Svenja Liesau (Edmund Tyron)