©Berliner Ensemble, Foto: David Baltzer, bildbuehne.de
„Hi, good morning“, ein sexy Girl rekelt sich als Schattenriss in einem Comicstern und erzählt in Englisch vom Schicksal Phaidras und deren Stiefsohn Hippolyptos. Auf diese beiden Personen spitzt Sarah Kanes den antiken Mythos von Phaidras Liebe zu. Robert Borgmanns Inszenierung geht…
noch einen Schritt weiter und lässt Stefanie Reinsperger mit Genehmigung der Kane-Nachlassverwalter beide Rollen spielen. „Ich bin fett, jämmerlich und ekelhaft“, schreit sie zwischen riesigem Smileyball und drei genauso überdimensionierten phallischen Symbolkegeln, das gilt für Phaidra genauso wie für ihren fress-, sex- und bildschirmsüchtigen Stiefsohn Hippolytos, der trotzdem keine Befriedigung findet, eine drastische Farce heutiger Tendenzen.
Zuerst in bräutlichem Weiß, dann in Trauerschwarz inszeniert Stefanie Reinsperger beide Rollen großartig nahtlos ineinander fließend, voller Leidenschaft, Wut und Wucht, sprachlich und körperlich expressiv, teilweise direkt das Publikum ansprechend.
Durch die Zusammenlegung der Figuren wird die schizophrene Persönlichkeitsspaltung sichtbar. Beide sind rigorose Narzissten, die nur das tun, was sie tun wollen. Romantische Leidenschaft trifft auf den Zynismus einer abgetakelten Langeweile, das Manische auf das Depressive, so wie Sarah Kane das Stück in einer depressiven Phase ihres kurzen Lebens konzipierte. Das soll knirschen.
Phaidra ist gierig nach Hippolyptos, der die Frauen, einschließlich seiner Schwester gefühllos und gelangweilt durchfickt. „Ich vögle die Zeit“. Aber nach der Erregung folgt das Kotzen. Seine Stiefmutter widert ihn an. Für dieses Desinteresse rächt sich Phaidra, indem sie ihn vor Theseus, ihrem königlichen Gemahl, der Vergewaltigung bezichtigt. Hippolyptos streitet es nicht ab, denn in der Lüge verbirgt sich die Wahrheit des Gewaltantuns. Durch die Gewalt, die sich jetzt gegen ihn richtet, fühlt er sich das erste Mal frei, befreit von Langeweile und seinen ziellosen Süchten.
Sprachlich grob geschnitzt, schauspielerisch ein Pulverfass, die Gewaltthematik durch sphärische und sakrale Musik, Melodielinien und Geräuschloopings akustisch und atmosphärisch verstärkt, alle anderen Stimmen aus dem Off zugeschaltet, ist die Inszenierung durchaus beeindruckend und spannend, aber bestimmt nicht jedermanns Geschmack.
Künstlerisches Team: Robert Borgmann (Regie, Bühne, Kostüme), 123 CEREMONY, Nazanin Noori und Robert Borgmann (Konzeption, Musik), Bahadir Hamdemir (Video), Rainer Casper (Licht), Amely Joana Haag (Dramaturgie
Mit: Stefanie Reinsperger und den Stimmen von Feli Benk, Robert Borgmann, Esther von der Decken, Fiona Hauser, Nazanin Noori, Jonas Vogt, Tim Wedell.