"Kultur macht glücklich"


Payal Kapadias Filmdebüt „All We Imagine as Light“ sorgte in Cannes für Furore und ist jetzt in deutschen Kinos zu sehen 

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Payal Kapadias Filmdebüt „All We Imagine as Light“ sorgte in Cannes für Furore und ist jetzt in deutschen Kinos zu sehen 

©Rapid Eye Movies

Trotz seiner riesigen Filmindustrie schafft es Indien selten auf die großen Filmfestivals eingeladen zu werden. Umso mehr überrascht es, dass die 38-jährige Filmregisseurin Payal Kapadia mit ihrem Spielfilmdebüt „All We Imagine as Light“ nicht nur zu den Filmfestspielen in Cannes eingeladen wurde, sondern auch den „Grand Prix“, den Großen Preis der Jury, gewann, der nur an…

forschende Filmregisseure vergeben wird. Wonach forscht Payal Kapadia? Sie geht in ihrer Heimatstadt Mumbai auf Entdeckungsreise, eröffnet entgegen der üblichen Negativ-Klischees einen poetischen Blick auf die Megacity, in der inzwischen aus jeder indischen Familie ein Mitglied wohnt. Kapadia zeigt nicht das Elend der Slums, sondern das fröhlich umtriebige Nachtleben zwischen Händlern und Restaurants, zauberhafter Musik und Feuerwerk, das das Alltagsgrau in der Regenzeit vergessen lässt. Statt Leuchtreklamen setzen kleine Fenster in unterschiedlichen Farben poetische Akzente im nächtlichen Schwarz, durch das die Bahn als heimeliges Lichtband tuckert mit einer Symbiose von zauberhafter Musik.

Im Gegensatz zu den unterkühlten westlichen Megacities und CBDs ist das Leben in Mumbai durchpulst von menschlichen Beziehungen, die Kapadia skizzenhaft durch drei Frauen aus drei verschiedenen Generationen einblendet und immer stärker vernetzt. In ihren Schicksalen spiegelt sich, wie stark die traditionelle Eheanbahnung durch die Eltern das Leben der Frauen beherrscht und einengt. Nach dem Herzen über religiöse Schranken hinweg zu lieben, muss selbst in der jüngsten Generation noch geheim gehalten werden wie das Graffiti „Unsere Liebe ist unendlich wie das Meer“ in einer einsamen Grotte. 

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Prabha (Kani Kusruti). Sie ging nach Mumbai, nachdem der Mann, den sie heiraten musste, sie plötzlich ohne ein Wort der Erklärung verlassen hatte. Sie ist inzwischen eine erfahrene Krankenschwester, die sich liebevoll um die Patienten kümmert. Einen jungen Arzt (Azees Nedumangad), der sich in sie verliebt, weist sie ab, weil sie immer noch hofft, dass ihr Mann zurückkehrt, zumal er ganz unverhofft einen Reiskocher made in Germany schickte. 

Bei Prahba wohnt Anu (Divya Prahba), eine junge Kollegin, die die Freiheit liebt und noch mehr Siraz (Hridhu Haroon), einen Moslem, für den sie sich sogar verschleiert, um ihn unerkannt als Hinduistin zu treffen. Doch auch sie soll noch traditionelle verheiratet werden, allerdings schon fortschrittlich über digitale Vermittlung. Prabhas (Chhaya Kadam) ältere Freundin ist eine verwitwete Köchin. Weil sie keine Dokumente über Wohnrechte vorweisen kann, muss sie ihr Appartement verlassen. Als ihr gekündigt wird, nimmt sie eine Stelle in ihrem Heimatdorf auf. Prabha und Anu begleiten sie, die Ärmlichkeit des Dorfes überrascht sie. Trotz der schönen Landschaft am Meer mit Wäldern und Höhlen wollen sie nicht hier bleiben. In Mumbai haben sie mehr Möglichkeiten, selbstständig ihr Leben zu gestalten. 

Es ist ein melancholisch atmosphärischer Film mit fröhlichen und innigen Momenten, mit verschiedenen Musikstilen und Geräuschen untermalt.

Die Schattenseiten wie niedere Löhne im Gesundheitswesen, Ausbeutung der Gastarbeiter, die religiösen Barrieren, menschliche Einsamkeit, Boden- und Mietspekulationen klingen lakonisch an, mal ironisch „Sie glauben, wenn sie immer größere Häuser bauen, dann werden sie so groß wie Gott“ mal melancholisch gedichtet. „Und nun bist du die brennende Flamme im Nachbarhaus, an der er sich wärmen möchte.“

Die zerstörende Kraft der Ausbeutung wird durch die Mitmenschlichkeit der drei Frauen zurückgedrängt. Sie wissen, was sie wollen, haben aber auch die Energie Traditionen hinter sich zu lassen und ihr Leben neu auszurichten. Insofern ist der Film mehr eine Hommage an die Frauen als an Mumbai, die Kapadia letztendlich weniger als Stadt der Träume als der Illusionen enttarnt. Genauso enthüllt sie subtil bei einem kurzen Abstecher ins Dorf das Landleben bei europäischer verkitschter Musik. „Wo bin ich da gelandet.“ 

Payal Kapadias Filmdebüt „All We Imagine as Light“ ist ein subtiler Film über Indiens gesellschaftlichen Wandel und was im Leben wirklich zählt.

Künstlerisches Team: Payal Kapadia (Drehbuch, Regie), Maxima Basu (Chef-Kostümbildner), Ranabir Das (Chef-Kameramann). Clément Pinteaux (Chef-Cutter) Topshe (Komponist)

Mit: Kani Kusruti, Divya Prabha, Chhaya Kadam, Hridhu Haroon, Azees Nedumangad