Auf 80 Lebensjahre blickt Benediktinermönch Anselm Grün zurück, auf ein Leben mit vielen Erfahrungen als Cellerar des klösterlichen Wirtschaftsbetriebs und Betreuer von Gästen, die sich im Kloster eine Auszeit nehmen. Über seine Bücher über den Glauben wurde Anselm Grün…
zu einer Instanz über „Alles in allem, was im Leben wirklich zählt“. In Interviewform umkreist er in seinem neuen Buch die Themenbereiche Glück, Sehnsucht und die Kraft der Spiritualität. Die Fragen stellt Rudolph Walter, Herausgeber des periodischen Monatsbriefs „einfach leben“ und Autor zahlreicher Bücher. Es sind Fragen, die jeden Menschen bewegen, Fragen nach den Sehnsüchten und dem Sinn des Lebens, nach dem Glück, nach dem inneren Frieden.
Anselm Grüns Antworten sind für Menschen mit spiritueller Ausrichtung eine Lebenshilfe. Seit über 60 Jahren ist er Mönch. Er weiß um das Auf und Ab des Lebens, die Irrungen und Zweifel, hat den gesellschaftlichen Wandel mit den Diskontinuitäten des Lebens und Glaubens selbst erlebt. Die wichtigste Konstante in seinem Leben war und ist die Suche nach Gott, die zugleich die Suche nach sich selbst ist. „Gott zu suchen hält lebendig, aber es ist immer auch ein Prozess“. Es verändert sich dabei das Verständnis von Gott und was im Leben wichtig ist. Beständig sein und sich wandeln sieht Anselm Grün nicht als Gegensätze, sondern als wechselseitige Notwendigkeit. Gerade weil er Mönch geblieben ist, konnte er sich innerlich wandeln, ohne seine Wurzeln zu verlieren. Das Kloster gibt ihm Raum zum Ausprobieren in der Stille, ohne sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Genau das ist der Punkt, warum immer mehr Menschen hoffen durch Einkehrtage im Kloster ihre Mitte zu finden. Wie ein Baum fühlt sich Anselm Grün im Glauben verwurzelt. Vom Wind bewegt behält er trotz gesellschaftlichen Wandels die Suche nach dem Wesentlichen konsequent bei.
Aus dieser Position blickt er zurück, wie man durch die Kraft der Spiritualität diesen Wandel annehmen kann. Es ist die Sehnsucht nach dem Schönen und nach der Liebe, die das Leben zum Strahlen bringt. Dabei weitet sich Liebe über die Paarbeziehung hinaus auf alle Menschen und die Natur, in der sich das Leben im Wechsel vom Entstehen, Vergehen und Weiterentwickeln spiegelt. Um Neues zu erleben, muss man Abschied nehmen, statt zu erstarren, sich wandeln. Die Konstante stellt Gott dar. „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“, so der 1. Johannesbrief.
Wichtig ist dabei das Gebet, nicht routiniert abgespult, sondern das individuelle Gespräch mit Gott als Basis für ein spirituelles Leben. Das Gebet heilt, weil es den Blick für das Wesentliche öffnet, in die Tiefe wirkt und die Seele berührt. „Wie Zähneputzen“ bedarf das Beten des Rituals, um wirksam zu werden. In allen Religionen ist das Gebet das wichtigste Bindeglied zwischen Gott und den Menschen. Wie stark Religion trotzdem spaltet, beweist die weltweite Kulturgeschichte. Anselm Grün legt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Christen, Juden, Moslems und Buddhisten dar, bleibt darin aber sehr allgemein ohne aktuelle Bezüge. Sein Anliegen ist nicht die Weltlage, sondern der einzelne Mensch auf der Suche nach dem Wesentlichen, die durch innere Leere und Stille die Qualität des Seins offeriert, Gott durch Lebendigkeit, Freiheit, Frieden und Liebe fühlbar macht.
Den zweiten Teil des Buches widmet er der „Kunst des guten Lebens“ durch Reduktion. Das klingt zeitgeistig, ist es aber nicht, denn Anselm Grüns Appell „einfach leben“ erfordert Disziplin in allen Bereichen. Genießen und Verzichten müssen in Balance gehalten werden. Maßlosigkeit führt zu Unzufriedenheit. Man darf sich nicht von Bedürfnissen jagen lassen. Fasten als Genussunterbrechung ist hilfreich, genauso das Kirchenjahr mit seinen stillen und festlichen Tagen. Einfach leben heißt, weniger brauchen und verbrauchen, vom bisherigen Lebensstil Abschied nehmen, ohne Neid auf andere, großzügig ohne Geiz und in Dankbarkeit vor der eigenen Realität und in Demut leben.
Bezüglich der Liebe gilt, nur wer sich selbst mit all seinen Schwächen akzeptiert, kann auch andere lieben. Vorbild sind uns die Kinder, die sich selbstvergessen auf eine Situation einlassen, Dinge neugierig ausprobieren, staunen und ganz im Augenblick leben. Wenn man aufrichtig klar, arglos, im Einklang mit sich selbst lebt, ohne Eindruck machen zu wollen, spürt man Gott. Anselm Grün geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Wenn andere einem das Leben schwer machen, muss man herausfinden, inwiefern man sich selbst in diversen Verhaltensweisen anderer selbst spiegelt und erkennen, dass es Menschen sind, die nicht mich sich klar kommen, um ihnen gelassener begegnen zu können. Es gibt aber auch menschliche Situationen, in denen man sich klar abgrenzen muss.
Anselm Grün, sehr konservativ erzogen, bekennt in seinem Leben immer weniger an den Normen seiner Erziehung festgehalten zu haben, stattdessen durch die Erfahrung, dass viele ganz anders leben, viel freier zu denken und handeln lernte. Nur so ist Frieden seiner Ansicht nach möglich. „Konflikte löst man wie ein Arzt, der Wunden heilt“, sachkundig, wohlwollend und gelassen, wobei die Gelassenheit das schwieriges Terrain ist. Dazu gehört die Einsicht, dass man Dinge, die man eben nicht ändern kann, lassen muss und nur die Dinge gestaltet, die im eigenen Machtbereich liegen. Gelassenheit entspannt, übt keinen Druck aus und respektiert den anderen. Und selbst wenn man Schlimmes erlebt, stellt sich die Frage, ob man verbitterte oder hoffnungsvolle Spuren in seinem persönlichen Umfeld hinterlassen will.
Die Gelassenheit ist die Basis für Weisheit, Inbegriff aller gemachten Lebenserfahrungen, die Anselm Grün analog zu CG. Jung als kollektives Unterbewusstsein tituliert. Die Ressourcen der Weisheit sind Ruhe, Hoffnung und Zuversicht und im Alter die Freiheit von der Herrschaft des eigenen Egos, so dass man ganz selbst sein kann. Gleichzeitig zielt Weisheit immer darauf anderen zu helfen, nicht redselig, sondern erfahrungsgesättigt. „Die Jüngeren sollten die Älteren ehren, die Älteren die Jüngeren schätzen.“ Im Alter versteht man vieles anders als in jungen Jahren. Man erlebt jeden Tag neu und ist dafür dankbar. In welchem Zustand man das Alter erlebt, hat man letztendlich nicht in der Hand. Anselm Grün trägt in sich die Hoffnung, auch krank und hilflos eine Ausstrahlung zu haben, die von Liebe, Weite und Offenheit geprägt ist. Humor, Mut, vor allem Vertrauen in Gott helfen dabei und die Einsicht im Wandel des Alters die eigene Lebendigkeit zu entdecken und ein „weites Herz“ zu haben, um ein Segen für die anderen zu sein. „Hoffnung macht lebendig und verbindet, während Angst zur Erstarrung führt und spaltet.“
Was Anselm Grün schreibt, ist nichts Neues, aber im Frage- und Antwortmodus setzen die christlichen Leitgedanken ein wohltuendes Gegengewicht zu unserer oberflächlichen Genuss- und Konsumgesellschaft. Vieles fließt bereits in moderne Reduzierungstrends ein. „Alles in allem – was letztlich zählt im Leben“ präsentiert die Synopse vor christlichem Hintergrund. Auf die Hoffnung vertrauend sieht Anselm Grün auch eine Chance der krisengebeutelten Kirche, weil „die christlichen Gemeinden in einer immer mehr individualisierten und zentrifugalen Gesellschaft gemeinschaftsstiftend sein können“.
Anselm Grün „Alles in allem – was letztlich zählt im Leben“, Herder Verlag, Freiburg, 2024, 268 S.