"Kultur macht glücklich"


Berlin – Sharon Eyals „Saaba“ und Ohad Naharins „Minus 16“ vom Staatsballett in der Deutschen Oper vertanzt 

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Berlin – Sharon Eyals „Saaba“ und Ohad Naharins „Minus 16“ vom Staatsballett in der Deutschen Oper vertanzt 

©Admill Kuyler

Ein Solist tanzt nach vorn. Wie er tanzt, verrät sofort Sharon Eyals Tanzstil. „Saaba“ (2021) ist bereits ihre vierte Choreografie, die das Berliner Staatsballett auf die Bühne bringt, vom Publikum immer wieder…

begeistert rezipiert. Unverwechselbar sind Eyals Trippelschritte auf halber Spitze zu Technobeats von Ori Lichtik, Körper in Nude-Optik von Diors Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri, durch Licht von oben extrem plastisch modelliert, im Pulk durch stilisierte Bewegungsmuster von energetischer Dynamik. Doch dieses Mal tauchen neue Facetten auf. Die 17 TänzerInnen blasen ihre Muskeln in schlängelnden Contract- und Releasebewegungen auf. Sie formieren sich nicht nur im Pulk, sondern in energetischen Linien und Dreiecken. Bizarre Armbewegungen durchbrechen die gewohnte Synchronität. Individuelle Tanzbewegungen bekommen Raum. Wie auf einem Fließband queren die Tänzerinnen mit ausladenden aufreizenden Bewegungen die Bühne, worauf eine Gruppe von Tänzern mit Machoposen reagiert und entsprechende Narrative assoziieren lässt. Der Rave wird immer ekstatischer. Nebelumwaberte Dunkelheit hellt sich auf. Die Lichtregie zaubert Morgensonne, die zwischen Bäume durchschimmert und taucht schließlich die explodierende Tanzmaschinerie erotisierend in leuchtendes Rot. Das passt bestens zu Berlins Rave-Image.

Tanz bis zur rituellen Ekstase kombiniert Ohad Naharin in „Minus 16“ (1999) mit Humor und purer Lebensfreude, präsentiert als Reihung von mehreren eigenständigen Tanzsequenzen. Schon am Ende der Pause beginnt ein Solist mit charmanter Noblesse quer durch alle Musikstile tanzend die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es werden immer mehr Tänzer. Nahtlos platzieren sich 23 TänzerInnen im Anzug und weißen Hemd auf die halbkreisförmig positionierten Stühle für Naharins legendäre Tanzchoreografie, die er für jede Kompanie und Örtlichkeit neu anpasst und bereits bei Gaultiers Gastspiel während der Berliner Tanzfestspiele 2021 in Berlin zu sehen war. Im Rhythmus eines hebräischen Endlosliedes wiederholen sich Bewegungsmuster wellenförmig. Die Tänzer singen den Refrain. Mit zunehmender Ekstase fliegen nacheinander Hüte,

Tanzkritik "Minus 16" getanz vom Berliner Staatsballett präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Admill Kuyler

Jacken, Schuhe, Hemden und Hosen als Befreiungsakt von sozial-religiösen Regeln in die Mitte. In grauer Unterwäsche genießen es die Tänzer in wilder Ausgelassenheit abzutanzen. Wieder in schwarzen Anzügen linear hintereinander bilden die TänzerInnen eine bewegte Wand, die sich quer über die Bühne hin und her bewegt, wobei sich jedesmal ein Solist absondert, das eigene individuelle Können präsentiert und sich wieder integriert. Die überschäumende, akrobatisch durchsetzte Tanzsession kulminiert, als die TänzerInnen im Publikum ihre Tanzpartner holen, um sich zur karibischen Musik auszutoben, begeistert vom Publikum applaudiert, wobei der Beifall jede Extrovertiertheit der Laien lachend honoriert. In kurzen Sequenzen durch Vorhänge auf kleineres Format distanziert tanzt das Ensemble die vorweggenommen Applauszugaben durchchoreografiert als wildes Gezappel. Tanzt! Die Botschaft greift. Standing Ovations.

Künstlerisches Team „Saaba“: Sharon Eyal (Choreografie), Gai Behar (Co-Regie), Leo Lérus, Darren Devaney, Olivia Ancona (Einstudierung) Ori Lichtik (Musik), Alon Cohen (Lichtregie), Maria Grazia Chiuri/Dior (Kostüme)

Künstlerisches Team „Minus 16“: Ohad Naharin (Choreografie, Kostüme), Dick Dale, Tractor’s Revenge & Ohad Naharin, Harold Arlen & Marusha, Frédérik Chopin u.a. (Musik), Avi Yona Bueno (Licht) Matan David, Ian Robinson (Einststudierung)

getanzt von 40 TänzerInnen des Staatsballetts Berlin