„untitled“©Benjamin Reich
„Seid fruchtbar und mehret euch!“, heißt es in der Bibel. Nach dieser traditionellen Denkweise dient Sex allein der Pflicht, Nachkommen zu zeugen. Frauen und Männer haben die ehelichen Sexregelungen einzuhalten. Nach fünf unreinen enthaltsamen Tagen während der Monatsblutung folgen weitere sieben Tage ohne Sex. Aufgabe der Frauen ist es, Männer sexuell nicht zu reizen und sich entsprechend anzuziehen. Eng damit verbunden ist die Reduzierung der Frau auf Kindererziehung und Haushalt. Inzwischen, so zeigt die Ausstellung, sind die Haltungen gegenüber Sex wesentlich vielseitiger.
Über Gemälde, Fotografien, Skulpturen, Geschirr, vor allem über wandgroße Zitate und Videos werden traditionelle und moderne Positionen plakativ in Szene gesetzt. Jedes Exponat wird in Deutsch und Englisch erklärt. Man taucht zunächst in die Rituale des orthodoxen Judentums ein und folgt dann den liberaleren Einstellungen, die sich im Zusammenhang mit der LGBTQ+-Bewegung entwickelt haben. Über talmudische Gelehrte und zeitgenössische KünstlerInnen, mittelalterliche Philosophen und moderne SexualtherapeutInnen, mystische DenkerInnen oder TikTok-KommentatorInnen werden die heterogenen Haltungen deutlich. Sie stellen soziale Normen in Frage, verweisen auf sexuelle Tabus und deren Bedeutung für die individuelle Identität, aber auch auf die spirituelle Energie der Erotik und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
„Hold“, Joan Semmel©Joan Semmel, Foto: Michaela Schabel
Daraus ergeben sich die thematischen Schwerpunkte Ehe und Zeugung, sexuelles Begehren, Tabus und Infragestellung sozialer Normen. Dazwischen leuchten Einzelaspekte auf wie „Lilith“, einst die gefährliche Verführerin, jetzt Symbolfigur weiblichen Ungehorsams, oder der Verweis auf die „Stalag 217“, pornografische Romane, die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern spielen und in den 1950er Jahre in Israel populär waren.
Provokante Zitate leiten durch die Ausstellung und geben Denkanstöße. „Freud war ein sexueller Analphabet, denn er dachte, eine Frau, die keinen vaginalen Orgasmus bekommt, sei eine unreife Frau“, konstatiert Ruth Westheimer (*1928). Magnus Hirschfeld (1868-1935) formuliert pointiert „Das Geschlecht steckt nicht im Körper, sondern in der Seele“.
„Sex. Jüdische Positionen“ ist eine sehr informative Ausstellung möglich über die Sammlung des Jüdischen Museums hinaus durch Exponate aus öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa, Israel und Nordamerika, darunter künstlerische Arbeiten von Judy Chicago, R. B. Kitaj, Mierle Laderman Ukeles, Lee Lozano, Boris Lurie, Stéphane Mandelbaum, Benyamin Reich und Yona Wallach.
Die Ausstellung „Sex. Jüdische Positionen“ ist noch bis 6. Oktober im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.