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Tagtäglich, bei jedem Wetter ist Ivo (Minna Wündrich) als ambulante Palliativpflegerin mit dem Leid und Tod anderer Menschen konfrontiert. Sie fährt von einem Betreuungsfall zum nächsten, erlebt die Welt draußen durch Fenster- und Autoscheiben. Die Fahrten sind ihre Pausen, viel zu kurze Phasen, um die psychischen Belastungen der verschiedenen Pflegesituationen aufzuarbeiten. Ivo geht ganz in ihrer Arbeit auf. Ihr Privatleben wird ausgespart bis auf wenige Sequenzen mit ihrer flüggen Tochter, die lieber mit dem Handy kommuniziert. Die einzige Freundin Ivos scheint Sol (Pia Herzoger) zu sein, die an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS leidet und Angst davor hat, ihre Autonomie zu verlieren. Dass Ivo ausgerechnet mit Sols Mann Franz (Lukas Turtur) ein Verhältnis hat, macht die Sache noch komplizierter, zumal Sol Ivo um Sterbehilfe bittet.
Von SchauspielerInnen und Laien aus der Palliativpflege sehr authentisch dargestellt und mit distanziertem Blick inszeniert erlebt der Zuschauer das Leid von Kranken und Angehörigen, aber auch die große Verantwortung, nervliche Belastung und den Kummer Ivos, allerdings aus großer Distanz, ohne auf irgendeine Weise zu emotionalisieren. Es wird nicht viel dialogisiert, die Situationen sprechen für sich. Kleine Details erhellen Charakterstrukturen, Hirschgeweihe über einem Krankenbett, die abgewandte Ehefrau oder der ignorantische Sohn. Ivos verweilender Blick aus dem Fenster auf einen Mann mit einem Kind auf der Schulter offeriert nüchtern, dass ihr selbst menschliche Geborgenheit fehlt.
Ivo hat immer nur zu funktionieren. Jeder Tag ist mit Patientenbesuchen durchgetaktet, dazwischen Besprechungen und Zielvorgaben. Sie „kann doch nicht einem Patienten sagen, dass er schneller sterben soll“. Verstorbene Patienten werden mit Neuaufgenommenen bilanziert. Jede Szene verweist auf ein neues Problem. Ivo kann punktuell helfen, Ihr hilft niemand, weder der heilige Geist in der Kirche noch die eigene Tochter noch die Sexualität mit Sols Mann. Der Film hält zu allen Figuren Distanz. Es geht nicht um Mitgefühl, Erklärungen oder Moralisierungen, sondern allein um die Darstellung knallharter Realitäten, die alle Betroffenen physisch und psychisch überfordern. Der einzige Ausweg ist der Tod.
Eva Trobisch fokussiert auf Ivos flinke, professionelle Handgriffe, ihre Ruhe vor dem Patienten, aber auch ihre Tränen beim Autofahren, wenn der Druck zu groß wird, sich Kranke und Angehörige an ihr abreagieren. Gehen ihr die Nerven durch, vergreift sie sich im Ton, sind Ehepartner plötzlich wie eine Einheit. Eine aggressive Ehefrau, die Angst hat, dass ihr Mann Ivo zur Erbin einsetzt, kann Ivo besänftigen. Pflegekräfte dürfen arbeitsrechtlich keine Erbschaften annehmen. Ihr psychisch belastendster Pflegefall wird Sol, gegen deren zunehmenden Autonomieverlust Ivo nichts unternehmen kann. Die Morgensonne im Auto zeigt, wie stark Ivo mitgenommen ist. Flotte Musik hilft nicht mehr. Die Blätter der Bäume rascheln. Ist ein Fall abgeschlossen, breitet sich nur noch Schweigen aus.
„Ivo“ ist ein wichtiger Film, weil er die Palliativproblematik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ohne moralischen Imperativ ins Bewusstsein bringt.
Künstlerisches Team: Eva Trobisch (Drehbuch, Regie), Andrian Campean (Chef-Kameramann), Laura Laurenmis (Chef-Cutter), Martin Hossbach (Soundtrack)