©Deutsche Oper Berlin, Bettina Stöß
Als unvollendetes Werk, Hoffmann starb ein Jahr vor der Uraufführung, kann jede Premiere eine Neuentdeckung sein. Regisseur Laurent Pelly greift auf die bislang vollständigste Fassung von Lausanne zurück. Ohne die Brillantenarie fokussiert er noch mehr auf die Tragik. „Man ist groß durch die Liebe und größer durch die Tränen“ singt Hoffmanns Muse, und sie verkörpert im Rollentausch mit Hoffmanns Freund Nicklaussee in dieser Inszenierung nichts anderes als des Dichters personifizierte Inspiration. Die Liebesabenteuer sind der steinige Weg, die ihn an den Abgrund seiner Existenz führen. Unter Laurent Pelly wird diese „Operá fantastique“ eine existenzielle Oper von höchster Dramatik. Das signalisieren schon die dunklen Farbstimmungen. Die Bühnenbauten (Chantal Thomas) wirken gigantisch, bewegen sich analog zu den seelischen Prozessen der Figuren lautlos, rätselhaft zu neuen Räumen, erzielen durch kleine und große Türen bizarre Machtverhältnisse. Immer wieder schieben sich Wände an der Bühnenrampe bis auf einen engen Spalt zusammen, um Außen- und Innenleben zu verdeutlichen. Eine plötzlich unterbrochene Treppe signalisiert den Abgrund einer abrupt unterbrochenen Liebesbeziehung. Im Lichtspot bekommen die Figuren eine magisch traumatische Aura.
©Deutsche Oper Berlin, Bettina Stöß
Der Chor, sängerisch und spieltechnisch immer bestens integriert, anfangs nur als rot geschminkte Augenpaare sichtbar, wirkt höllisch. Der einzig erheiternde Clou ist Olympia, die wie ein silberner Vogel adäquat zu ihren Wahnsinnskoloraturen eckig flatternd auf- und abwärts schwebt. Dass Laurent Pelly dann auch noch die technische Konstruktion, einen langen Kamerakran auffahren lässt, erinnert an Heinrich Heines romantische Ironie. Im dritten Akt ist es Miracle, der in der Treppenhauslampe wie Satan aus der Hölle aufsteigt, umflammt von spiralförmigen Vexierbildern. Durch diese krassen Perspektivwechsel zwischen Fiktion und Wirklichkeit gewinnt die Inszenierung dramatische Fallhöhe.
Man muss zwar immer wieder Schmunzeln, aber der Gesamttenor bleibt tragisch getragen von großartigen Stimmen und einer gekonnten Personenregie. Selbst Andrew Dickinson als Karikatur in vier verschiedenen Dienerrollen lässt in slapstickartigen Szenen das menschliche Elend aufleuchten. Kathryn Lewek gibt jeder Frau die sängerische Aura, die deren Wesen um Ausdruck bringt. Stella bleibt natürlich im Gegensatz zur leblosen Automatenfrau Olympia. Welch Unterschied von deren hochartifiziellen, doch emotionslosen Arien zu den von Liebe durchglühten Koloraturen Antonias und den egomanisch berechnenden Verführungen Giuliettas. Das ist sängerisch und schauspielerisch eine Glanzleistung und harmoniert bestens mit Oreste Cosimos lyrisch-dramatischem Tenor, der durch seine stimmliche Energetik immer wieder sein neues Verliebtsein authentisch besingt und in den beiden Arien vom Klein-Zack bei allem lautmalerischen Spaß dieser buffo-Nummer trotzdem die Verzweiflung Hoffmanns offenlegt. Byung Gil Kims abgründiger Bass macht das Böse hörbar, mit jeder Szene von Lindorf über Coppélius bis Miracle und Dapertutto noch stärker und fulminanter. Stephanie Lauricella wird ihrer Doppelrolle als Nicklaussee und Muse voll gerecht. Sie agiert als reale Retterin, ist die Ratio in diesem irrationalen Spiel, in dem allein die Visualisierung der Stimme von Antonias Mutter (Irene Roberts) als Negativprojektion mit extremem Speichelfluss im Mund deplatziert wirkt.
Unter dem Dirigat von Markus Stenz bleibt das Orchester der Deutschen Oper Berlin ganz im Dienst der Sänger und des Chores, umrahmt, untermalt, ohne zu übertönen. Es zeigt in den Pianopassagen, wie subtil es interpretieren kann und im Zwischenspiel ganz klar die Stimmungswechsel von Offenbachs Komposition.