©Ricardo Vaz Palma, Alamode
In kantig nüchternen Szenen oszilliert Marie Kreutzer zwischen Beobachtung von außen und latenter Selbstbewertung, Historie und freier Fabulierkunst. Dabei wird Sissi zur Projektionsfläche heutiger Rollengefängnisse rund um das Thema Schönheit.
Ständiges betrachtet, kommentiert werden, ist anstrengend und aktueller denn je. Wer Rollenerwartungen bricht, muss mit Diskriminierung rechnen, erst recht eine Kaiserin, die in erster Linie Repräsentantin zu sein hat. Sissi zermürbt vom Schön-sein-müssen wird zur Rebellin, will sich nicht mehr fügen und erntet vom Kaiser, der Schwester, sogar von den Kindern Missbilligung.
Konträr zu den bisherigen romantisch-kitschigen, zuckersüßen Sissi-Interpretationen präsentiert Schauspielerin Vicky Krieps eine herbe Kettenraucherin, eine ungeschminkte und distanzierte, narzistische und zugleich empathische Sissi. Immer wieder ist sie geschockt von den Schnurrbart- und Ordensträgern dieser männlich geprägten Gesellschaft, noch mehr vom Elend der Männer, vor allem der Frauen, gefesselt in den Käfigen des Irrenhauses und von verstümmelten Soldaten im Hospital. Diese Sissi stellt ihr Umfeld in Frage und wagt immer wieder, von Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) an der langen Leine gehalten, einen Ausbruch. Zunächst vergeblich!
©Ricardo Vaz Palma, Alamode
Doch trotz tiefer Blicke, körperlicher Nähe werden ihre erotischen Sehnsüchte weder vom Reitlehrer noch vom Cousin Ludwig II., einem Seelenverwandten, erfüllt. Ihr bleibt nur die Selbstbefriedigung.
Der Lack ist aber auch ab in der Monarchie. Alt wirken die Schlösser, renovierungsbedürftig ihre verblichene Patina, wie blutlleere Fotografien die starren fotografischen Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale.
©Ricardo Vaz Palma, Alamode
Aus der Froschperspektive Sissis Kopf fast an der Decke, ein offenes Fenster mit wehendem Vorhang rücken ihre Selbstmordgedanken greifbar nahe. Doch dazwischen blitzt das pure Gegenteil auf, eine herrlich ausgelassen witzig herumhüpfende Sissi in den allerersten Filmaufnahmen, die ein Erfinder von ihr macht.
Mit originären, ganz unverbrauchten Szenen ironisiert, pointiert, karikiert Marie Kreutzer Sissis Umfeld. Jede Szene wird zur Metapher. Popsongs lassen die Gegenwart anklingen und als der antiquierte Leibarzt Sissi Heroin als ungefährliches Wundermittel gegen ihr Unwohlsein verschreibt, durchbricht sie brachial die monarchische Erstarrung, zeigt der Gesellschaft den Mittelfinger, schneidet die alten, schweren Zöpfe ab, tauscht mit ihrer Lieblingszofe die Rolle. Die hungert mit dem Ziel von Sissis Wespentaille, während Sissi in Schlagsahne schwelgt. Die letzte Reise geht nicht über den Genfer See, sondern hinaus auf den Ozean. Der Sprung vom Schiffsbug ist weniger Selbstmord als neue Freiheit und Parodie auf Titanic-Schmalz. Das ist schon alles sehr schlau und amüsant inszeniert.