©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai
Er lässt Bühne und Kostüme (Charles Cusick-Smith & Philip Ronald Daniels) konservativ zwischen herrschaftlichen Salonstilmix und amtsschimmeligen Gefängnisbüro ausstatten, mit ironischen Details dazwischen. Selbst die Porträts auf den Gemälden tragen Mundschutz und statt mit Leopardenfellmuster wird die erotisierende Grundstimmung zebramäßig präsentiert. Dieser Stilbruch wiederholt sich ganz bewusst in den Kostümen bunt schillerndem aus dem Theaterfundus kombiniert mit Fledermaus- und Flaggenmundschutz beim Maskenball.
©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai
Der mutiert zum „2020 Club“ in schwarzer Optik. Statt Champagner wird Wodka aus der Flasche hinunter oder in den Blumenstock gekippt, so hochprozentig, dass die hochstilige Blume gleich zusammenschrumpft. Zwischendurch sorgt immer wieder sterilisierte Gruppen-Joint kurz für surreales Abheben. Der Chor, auf acht Sänger und Sängerinnen reduziert, fein säuberlich durch Schaufensterboxen getrennt, lässt an Rotlichtmilieu denken. Das ist alles recht flott arrangiert mit Ausnahme der langatmigen Froschszene, bei der besuchten Nachfolgevorstellung von Dirigent Basil H. E. Coleman besetzt.
Die Sänger und Sängerinnen sprühen vor Spielleidenschaft. Eine echte Entdeckung ist Henrike Henroch, die als Eisensteins Gattin am Landestheater Niederbayern ihr Debüt feiert. Durch ihre fulminante Sopranstimme, ihr kokettes, slapstickartiges Schauspieltalent und vibrierendes Temperament wird sie zum Mittelpunkt des Abends.
©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai
Emily Fulz gibt eine grazil erotische, stimmlich Akzente setzende Kammerzofe ab. Peter Tilch brilliert als frivoler Eisenstein. Jeffrey Nardone als Gesangslehrer via PC von Anfang an dabei, später live weiß mit Frank Sinatra Stimme Eisensteins Gattin zu bezirzen. Doktor Falke interpretiert Kyung Chun Kim als graue Eminenz.
©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai
Das Libretto macht ihn zum Bakteriologen, durch ständige Verwechslung mit Virologen sprachspielerisch ein Runnnig Gag bis zum T-Shirt mit Konterfei von Drosten. Mezzosopranistin Reinhild Buchmayer singt souverän die Rolle des Fürsten Orlofsky, bleibt aber ohne Esprit am Rande des Geschehens.
Hausintern bestens besetzt stellt sich das erwartete süffige „Fledermaus“-Feeling mit den mitreißenden Evergreen-Ohrwürmern trotzdem kaum ein. Auf zwei Violinen, ein Viola, ein Violoncello und Flügel beschränkt fehlt einfach das wogende instrumentale Gegengewicht. Basil H.E. Coleman, zu sehr mit dem Klavierspiel beschäftigt, hat selten eine Hand frei für Einsätze und Intonation. Er setzt auf schnelles Tempo, rasanten Klang, Fortissimo. Als Persiflage konzipiert, passt natürlich auch der gassenhauerische Gesamtduktus. Es ist eben, wie von Stefan Tilch angekündigt, eine ganz andere „Fledermaus“.
Die Konzeption ist der Pandemie geschuldet und offeriert gleichzeitig ganz bewusst, wie der Umgang mit der Pandemie Kunst kaputt macht, am deutlichsten spürbar an der unterschiedlichen Stimmqualität, wenn Henrike Henoch auf dem Maskenball mit und ohne Maske singt.
Doch wenn schon der Alltag permanent um Corona kreist, Corona seit Juni landauf landab mit ähnlichen Mitteln auf der Bühne immer wieder thematisiert wird, ist die vermeintliche Originalität längst verpufft. So mancher wünscht sich in diesen Tagen „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“, zumindest für musikalischen Abend lang.