München-Staatsballett „Alice im Wunderland“

schabel-kultur-blog präsentiert Ballettkritik Münchner Staatsoper "Alice im Wunderland"

Man taucht ein wie in ein Filmepos, erzählt von Tönen und tänzerischem Ausdruck. Job Talbots facettenreiche  Komposition zwischen monumentaler Wucht, hauchzarten lyrischen Passagen und persuasiver Leitmotivik treibt die Handlung voran, gespielt vom Bayerischen Staatsorchester unter dem Dirigat von Myron Romanus ein Hörerlebnis.

Umgekehrt entwickelt Wheeldon inspiriert von Musik und Text ein Feuerwerk von Tanzstilen und Überraschungseffekten. Klug wählt er die bekanntesten Episoden aus Carolls Roman aus und integriert nahtlos dessen Bootfahrt, die ihn dieses Buch schreiben ließ, als poetisches Schattenspiel.

Idyllisch beginnt „Alice im Wunderland“ vor herrschaftlicher Kulisse im flirrenden Sommerambiente. Alice erstes jauchendes Verliebt sein steckt alle an, wird aber von den Eltern unterbunden.  Von Maria Shirinkina mit bezauberndem Mädchencharme, kecker Mimik und rebellischer Gestik getanzt, taucht Alice ab, springt  dem Hasen hinterher in ein Loch. fällt tief und tiefer und landet in Carrolls Zauberland surrealer Träume, video- und bühnentechnisch phantastisch umgesetzt. Alice schrumpft und wächst. Winzig klein tanzt sie zwischen den in Bühnenhöhe projektierten Beinen, neckisch, verliebt, wie eine kleine Fee mit dem weißen Kaninchen (Javier Amo),  dem Märzhasen (Stefano Maggiolo), vor allem mit Herzbube (Vladimir Shklyarov).

schabel-kultur-blog präsentiert Ballettkritik Münchner Staatsoper "Alice im Wunderland"

©Wilfried Hoesl

Die Inszenierung eilt von Höhepunkt zu Höhepunkt. Immer  wieder hat Wheeldon eine dramaturgische Überraschung in Reserve. Hinreißend steppt der verrückte Hutmacher (Jonah Cook). Das gestickte „Home“ der Teegesellschaft offeriert sich als brutale Metzgerei, statt verbaler Schlagabtausch tänzerische Verfolgungsjagden mit Beilen. Nein es ist keine schwebende Schlange, sondern der Schwanz von Grinsekatze, die sich im Schwarztheater allmählich zusammenpuzzelt, nicht minder witzig die Raupe, die als riesengroßer Vielfüßler über die Bühne trippelt .In farbträchtigen Tableaus wird indisch, orientalisch  und Wiener Walzer getanzt. Als Spielkarten fegt das Ensemble über die Bühne. Selbst das Krocketspiel mit Flamingos und Igeln wird witzig vertanzt. Jede Geste sitzt. Jeder Schritt, jede Drehung passt zur Musik. Oft in Dreierkonstellationen weicht die Normierung schnell individueller Ausgestaltung, wird Ballett passend zum Thema gegen die Regeln mit modernen Tanzelementen aufgepeppt und das Solo der Herzkönigin  mit Séverine Ferrolier zur hinreißenden Wackelparodie.

schabel-kultur-blog präsentiert Ballettkritik Münchner Staatsoper "Alice im Wunderland"

©Charles Tandy

Noch bevor Herzkönigin alle hinrichten lassen will, stürzt das Kartenhaus der Fantasie ein. Alice schwebt nach oben und findet sich, aufgewacht von einem intensiven Traum, im Park der Gegenwart als verliebter Teeny von heute.

Als Hommage an Carroll gilt ihm,  der letzte Moment. Er liest in seinem Buch.

Das ist fern jeglicher psychologischer und soziologischer Interpretationen großartig inszeniertes Erzählballett, flott, vergnüglich, spannend  wie ein Musical und wird sicher auch in München ein beliebtes Repertoirestück.

Michaela Schabel