Berliner Staatsoper – Cherubinis „Medea“

Opernkritik "Medea" an der Berliner Staatsoper präsentiert www.schabel-kultur-blog.de

Unter diesem Blickwinkel wird Cherubinis Kammeroper zum vielschichtigen Ereignis für genaue Beobachter, erstklassig besetzt, mit wunderbarem Orchesterklang unter der Leitung von Daniel Barenboim.

Konträr zur üblichen Medea-Interpretation als Barbarin, rasende Rächerin fand schon in Cherubinis französischer Dialogoper (1797) eine Wende statt, indem Cherubini Medeas Verhalten aus der Perspektive, wie geht man mit Fremden um, warum tötet eine Frau ihre eigenen Kinder, humanisiert.

Cherubini interessieren nicht Medeas Gräueltaten. Er beginnt mit dem Ende, Medea in Kreons Palast in Korinth. Jason, der sich von Medea getrennt hat,  darf die Königstochter Dircé heiraten, damit Kreon als Brautgeschenk in den Besitz des Goldenen Vlieses kommt. Als Medea auftaucht wird sie von Jason verstoßen, von Kreon verbannt. Nur einen Tag darf sie noch in Korinth bleiben. Sie tötet die beiden Söhne, setzt den Palast in Brand und begeht Selbstmord

Unter der Regie von Andrea Breth gelingt in der Staatsoper Berlin  ein leidenschaftliches Kammerspiel, das in den grauen Lagerräumen mit rostiger Patina zu glühen beginnt. Die räumliche Leere füllt sich mit eruptiver  Leidenschaft. Zwischen zwei- und vierbeinigen Hengsten wird Medea zum Opfer und Amokläuferin aus verzweifelter Rache.

 

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©Bernd Uhlig

Zusammen mit Sergio Morabito kürzte Andrea Breth die gesprochenen Dialoge und lässt sie auf Französisch sprechen, flüstern, hauchen, ein geschickter Schachzug die multikulturelle Ebene Medeas grenzenlosen Ausgestoßenseins  und ihre innere Zerrissenheit zwischen Liebe und Hass, in spannender Eindringlichkeit hörbar zu machen, zumal Sonya Yoncheva als Medea perfekt Französisch spricht und hervorragend artikuliert.

Jedes Detail, jede Bewegung eröffnet in dieser Inszenierung Botschaften. Dircé, Kreons Tochter, mit den Freundinnen gerade noch unbeschwert spielend, wirkt, plötzlich in der Rolle der Braut im Goldgewand, erstarrt wie eine Skulptur. Jason degradiert zum Weiberhelden. Vor seinen eigenen Kindern macht er an einer von Dircés Freundinnen herum, ein modisches Barbiepüppchen.

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©Bernd Uhlig

Medea glaubt er immer noch mit ein paar männlichen Handgriffen dominieren zu können. Als er selbst emotional einbricht, reagiert er umso machomäßiger ohne zu begreifen, was er anrichtet. Kreon, behäbig mit Brille mehr Bürokrat als König, mit bedrohlicher Schattenwirkung wird unter dem weiblichen Charme Medeas zur testerongesteuerten Marionette. Er gewährt ihr noch einen Tag  zu bleiben, obwohl sein Verstand die damit verbundene Gefahr deutlich erkennt.

Im wallenden Stofffluten gehüllt, die Haare bedeckt, doch mit bloßer Schulter  wird Medea von Anfang bis zum Schluss zum Blickfang. Sie oszilliert zwischen Pieta, Verführerin, am Boden liegend wie eine Sklavin, heruntergekommene obdachlose Immigrantin und zwischen den Hallen herumirrend als dem Wahnsinn Verfallene, großartig gesungen und in Szene gesetzt von der bulgarischen Sopranistin Sony Yoncheva. Sie singt die lange, extrem schwierige Partie mit all ihren emotionalen Polaritäten mit  kraftvollem Volumen, abgründiger Mittellage, lyrischen Momenten, kämpferischen Attacken, heroischen Höhen und explosivem Finale. Nur eine Stimme lässt neben ihr aufhorchen, Marina Prudenskaya Mezzosopran in der kleinen Nebenrolle als Néris.  Elsa Dreisigs kleine Passage als  Dircé bleibt dagegen blass.  Charles Castronovos wunderschön lyrischer Tenor passt bestens zu Andreas Breths Jason-Interpretation als Schönling und Frauenheld ohne jegliches Problembewusstsein. Selbst Iain Paterson, dem für Kreon die charismatische Wucht der Tiefe fehlt, passt in Breths kritische Wertung der Männerwelt.

Klangschön entfaltet  die Staatskapelle Berlin trotz kleiner Besetzung unter der Leitung von Daniel Barenboim die facettenreichen musikalischen Motive in der Ouvertüren und den Zwischenspielen. In den ariosen Teilen hält sich das Orchester  dezent ganz im Dienst der Sänger zurück, um den Gesang strahlend zur Wirkung zu bringen. Umso wirkungsvoller klingen solistischen Passagen, insbesondere der Querflöte und des Fagotts.

Diese „Medea“ bleibt nachhaltig im Gedächtnis.

Michaela Schabel