Berlin – Wiederaufnahme von „Giselle“ vom Berliner Ballettensemble an der Deutschen Oper

„Hui“, schreit ein Besucher voller Überraschung und Bewunderung, als Giselle durch eine Luke in der Bühne nach ihrem faszinierenden Soli verschwindet. Seit über 270 Jahren wird „Giselle“ getanzt und begeistert immer noch das Publikum. Dieses Ballett ist das Meisterwerk der französischen Romantik, wird nie altmodisch, weil diese Zeit in ihrer Wald-, Liebes- und Feenromantik immer die Sehnsüchte der Menschen bedient.

©Yan Revazov

Sieben Mal wurde „Giselle“ schon für das Berliner Staatsballett choreografiert, das letzte Mal im Jahr 2000 von Patrice Bart und bis 2017/18 getanzt. Bereits nach einem Jahr Pause ist sie jetzt als Wiederaufnahme in der Deutschen Staatsoper im Programm, zusätzlich mit einem Tanz für Männer, deren Part bis auf die Hauptrolle des Prinzen völlig zu kurz kommt, und neu besetzt mit der zauberhaften Yolanda Correa als Giselle, erste Solistin des Berliner Staatsballetts.
Zusammen mit Rishat Yulbarisov a. G. als sprungfreudig balzender Prinz erlebt das Publikum tänzerisch und schauspielerisch die Geschichte einer Liebe auf den ersten Blick, mit jedem Schritt, Sprung, jeder Bewegung, Geste voller Empathie und Hingabe. Giselle und die 12 Tänzer und Tänzerinnen des Ensemble verzaubern im ersten Akt nicht nur die fürstliche Jagdgesellschaft des 19. Jahrhunderts, sondern auch das Publikum des 21. Jahrhunderts, werden aber im 2. Akt, dem sogenannten weißen Akt im Gegensatz zu heutigen abartigen dunklen Zombiewelten zu filigranen Luftwesen, die „Wilis“. Grausam ist diese Welt der Toten in surrealer Traumnacht einst wie jetzt nur eben in ganz anderen Visualisierungen. Die toten Bräute, gestorben, weil ihr Bräutigam sie noch vor der Hochzeit hintergangen hat, tanzen so lange mit ihm, bis er tot umfällt.

„Hui“, schreit ein Besucher voller Überraschung und Bewunderung, als Giselle durch eine Luke in der Bühne nach ihrem faszinierenden Soli verschwindet. Seit über 270 Jahren wird „Giselle“ getanzt und begeistert immer noch das Publikum. Dieses Ballett ist das Meisterwerk der französischen Romantik, wird nie altmodisch, weil diese Zeit in ihrer Wald-, Liebes- und Feenromantik immer die Sehnsüchte der Menschen bedient.

©Yan Revazov

Auf Spitze getanzt mit flatternden Volants um die Schulter, die Flügel nach oben entgleitend, wirken die zerzausten Wilis tatsächlich, als schwebten sie über die Bühne. Myrtha, ihre Königin, interpretiert Aurora Dickie mit fahlem, reglosem Gesicht und eisiger Kälte. Sie funkelt wie ein Kristall, wirbelt wie eine Schneeflocke und verkörpert doch nur die Diktatur einer Macht völlig ohne Emotion, das leblose Reich des Jenseits. Und genauso agiert die zarte Schar der 24 Wilis unter ihrem Zepter. Nur Giselle wagt diese Kälte zu durchbrechen. Mit kraftvollen Sprüngen, temperamentvollen Drehungen, anmutiger Wehrhaftigkeit, und leidender Mimik, schützt sie ihren Prinzen rückwärts auf Spitze tanzend gegen den Tod. Die Liebe siegt, wenn auch erst nach dem Tod oder man kann auch sagen über den Tod hinaus. Dieses uralte Thema findet in „Giselle“ im Vergleich der beiden Akte noch eine zweite latente Botschaft. Schönheit ohne Gefühle lässt kalt.
Dynamisch sehr facettenreich von Paul Connelly dirigiert unterstreicht das Orchester der Deutschen Oper diese romantische Ballettmusik von Adolphe Adam atmosphärisch durch warmen Farbklang, subtile Artikulation und mitreißende Dynamik mit klangschönen solistischen Passagen der Oboen und Celli.